Verraten und verkauft: We Loved Pamuk-Shop

Es ist nicht alles Trash, was billig wirkt. Der Pamuk-Shop hat den Beusselkiez erst lebenswert gemacht. Mittlerweile ist er fort. Unser Autor will die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen.

Verraten und verkauft: We Loved Pamuk-Shop

Dies ist eine Anklageschrift. Kläger: Ich, Felix Bardorf, Urmoabiter, bescheidener linksintellektueller Freigeist und Enkel vom “Kiez-Chronisten” Wolfgang Bardorf. Beschuldigte: Das Land Berlin, die Bundesrepublik Deutschland, EU, Nato und sicherlich auch die USA. Zum Tathergang. Herr Richter, hiermit rufe ich mich in den Zeugenstand. BGB §21 folgend werde ich nichts als die Wahrheit sagen, so wahr mir Kneipengöttin Sabine (Zur Quelle) helfe. 

Kurz um die Jahrhundertwende waren Spätis kein Thema im Kiez. Die meisten Moabiter gingen noch zum “Kiosk”. Das waren kleine Läden, die Kippen und Zeitungen anbieten, minderwertig bedruckte Papierberge in unhandlichem Format, für die die Leute trotzdem Geld ausgaben, weil sie sich gut als Geschenkpapier eigneten. In Kiosks gab es weder Lachgas noch Vapes, noch nicht mal Shisha-Tabak. 

Doch eines Tages erstrahlt die ganze Gotzkowskystraße – nein, nicht nur die Gotzkowskystraße: der ganze Kiez erleuchtet im heiligen Glanz. Eine Karawane von Weihnachtstrucks fährt eine ungeheure Warensammlung durch Moabit. Ein zotteliger weißer Mischling führt die Karawane an. Er bellt die Melodie von “Wonderful Dream” von Melanie Thornton. Hinter ihm reitet sein Besitzer und bester Freund Hasan Aydemir auf einem domestizierten Haribo-Bären und schwenkt eine “I Love Pamuk-Shop” Fahne. 

Ja, Herr Richter, sie Vertreter des Schweinesystems: So oder so ähnlich kam der Pamuk-Shop nach Moabit. Mit ihm wurde Moabit neu geboren, bekam ein Wahrzeichen, eine Kathedrale, sein persönliches KaDeWe, seinen eigenen Palast der Republik – zwar ohne Volkskammer, Kultur und Konzerte, aber ich habe mich für den Vergleich entschieden und werde an ihm festhalten.

Wie auch immer: Bevor er im letzten Jahr geschlossen wurde, war der Pamuk-Shop der Inbegriff von Überfluss, eine bizarre Mischung aus Spätkauf, Drogerie, Fußballfan- und Deko-Shop. Ein Warensortiment aus Spielzeugpistolen, Glasbongs, Reisekoffern, Werkzeug, Berlin-Magneten, Weihnachtsdeko, Osterdeko und Deko-Deko. Alles da – und bis auf Vodka und Kippen nichts davon wirklich nützlich. 

Der Pamuk-Shop war ein Ort jenseits der bürgerlichen Alltagsordnung, ein buntes Moabiter Shopping-Disneyland nur ohne Unterhaltungsprogramm. Ohne Mickey Mouse, dafür mit dem stets etwas grimmigen Besitzer Hasan Aydemir. Viele Waren im Pamuk-Shop standen weniger zum Verkauf in den Regalen, sondern vielmehr um jahrelang zu verstauben – wartend auf den einen Kunden, der sonntags merkt, dass er den Geburtstag seiner Frau* vergessen hat, und den Hausfrieden schnell noch mit einem zwei Meter Haribo-Aufsteller, einer Beton-Bohrmaschine, einem Deutschland-Trinkhelm und einem 5-Euro-Ehering retten möchte.

Für uns, die Moabiter Kiezjugend, war der Pamuk-Shop eine Rettung, denn wir waren jung und brauchten den Schnaps. In meiner Schulzeit, kurz vor dem Abitur 2008, half mir der Pamuk bei meinem letzten pseudoradikalen Aufbegehren gegen Gesellschaft und Spießertum. Nach der Schule kauften ein Freund und ich uns hier Zigarren für 70 Cent und billigen Fusel-Sekt und zogen durch den Kiez. Hasan Aydemir stellte unser Verhalten nicht in Frage, schließlich waren wir volljährig (euer Ehren, ich schwöre!), und schloss die Transaktion wie immer mit mürrischer Distanziertheit ab. Wie Kiez-Könige liefen wir durch Moabit, verfolgt vom fassungslosen Blick einer Lehrerin, die in einem Restaurant auf der Gotzkowskystraße saß und uns postpubertäre Edgelords bei dieser tragischen Performance beobachtete. Dann saßen wir auf dem meist menschenleeren Spielplatz in der Zwinglistraße, der damals noch dreckiger und ekliger war als heute, und verfluchten die Welt. Schule, Pickelfresse und morgens aufstehen müssen. Dieses Lebensgefühl ermöglichte uns der Pamuk-Shop.

Wer nicht zum Shoppen oder als Tourist kam, um dieses Moabiter Wahrzeichen zu bewundern, kam für Pamuk. Der Hund, die Kiezlegende, unser spiritueller Anführer, quasi der Bischof dieser Kathedrale. Sein Gesicht wurde auf T-Shirts, Einkaufstüten und Postkarten verewigt und er bewies seine Heiligkeit durch wiederholte Reinkarnationen. Er starb, er kam wieder, er starb erneut, er kam wieder – es ist nicht überliefert, wie viele Körper sein Hundegeist schlussendlich bewohnte.

Im letzten Jahr hat Hasan Aydemir den Pamuk-Shop geschlossen. Ich scrolle durch Fotos bei Yelp und werde wehmütig. Hasan Aydemir mit seinem "I LOVE PAMUK-SHOP"-Shirt vor dem Kippenregal stehend. Warum habe ich mir diesen Merchdrop entgehen lassen? Pamuk strahlt mich mit unschuldigem Blick an, dieser zottelige kleine Prinz. Ich möchte ihn knuddeln, ihn mit meinen Tränen benetzen, seine hundige Wärme spüren – Euer Ehren: Bevor ich meine Aussage abschließe bitte ich Sie, die Jury, Erin Brockovich und den Rat der Weisen um ein Taschentuch, das mir nach Paragraf?!? Absatz <3 Strafprozessordnung zusteht. Danke.  

Kommen wir zum Tathergang: Warum ist der Pamuk-Shop verschwunden? In einem Taz-Artikel von 2022 klagt Hasan Aydemir über respektlose Kunden und Raubüberfälle. Waren sie der Grund? War, wie immer, die Gentrifizierung schuld? Oder gab es Schikane vom Zoll? Als der Berliner CDU-Senat die Macht ergriff, sah man im ganzen Stadtgebiet wie in Law-and-Order-Manier Spätis und Shisha-Cafés mit Zollkontrollen schikaniert wurden. Auch beim Pamuk-Shop beobachtete ich im Jahr seiner Schließung aus der Ferne eine Kontrolle, vermutlich die längste und umständlichste Zollprüfung aller Zeiten.

Ich fordere Sie auf, wertes Gericht, den Fall lückenlos aufzuklären. Aber als an ein Bürger, der an Gerechtigkeit interessiert ist, möchte ich etwas anmerken und erlaube mir eine persönliche Stellungnahme zur Sachverhaltsklärungsbeitragung (StVO 69): Das eigentliche Verbrechen ist nicht, dass Hasan Aydemir seinen Laden geschlossen hat. Es ist wie so oft: Die alleinige Schuld tragen DIE DA OBEN! Warum wurde der Pamuk-Shop nicht unter Denkmalschutz gestellt? Warum gibt es heute kein Pamuk-Shop-Museum? Uns Moabitern wurde unser Wahrzeichen geraubt. Als hätte jemand die chinesische Mauer abgerissen. Ja, ich klage euch an: Kai Wegner, Stefanie Remlinger, Friedrich Merz, Ursula von der Leyen und Robert Hofmann (der Chefredakteur vom sog. “Moazin”, nicht der berühmte Filmkritiker). Ich, der Ankläger, spreche das Urteil, Euer Ehren: lebenslänglich für alle Haupttäter, Stubenarrest ohne Internet, Handy und Game Boy für Robert Hofmann nach Paragraph Dings Absatz dein Vater. 

Moabit ohne Pamuk-Shop, das ist wie Kino ohne Popcorn, wie Ringbahn ohne Bierkasten, wie Dünnschiss ohne Windel, wie Berlin mit CDU-Senat. Hoffentlich geht es dir gut Hasan, wo auch immer du bist. Moabit vermisst dich – und natürlich auch Pamuk. Jeden einzelnen. 

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