Merhaba Discount: Schönen Feier und Abend
Man weiß erst, was man hatte, wenn es fort ist. Mit dem Merhaba Discount geht ein Herzstück des Moabiter Lebens verloren. Aber die Menschen werden seiner gedenken.
Vor ca. einem Jahr habe ich die Geschichte meiner Nachbarin S aufgeschrieben, weil ich die Ausweglosigkeit ihrer Situation und die Gleichgültigkeit des ganzen Systems dahinter nicht begreifen und nicht ertragen konnte. Mit dieser älteren Frau ging es 2023 gesundheitlich bergab. Sie konnte immer weniger mit dem Alltag zurechtkommen, die Briefe und Behördenvorgänge nicht erledigen, es war immer schwieriger, aus dem zweiten Stock runter- und wieder hochzusteigen, aber sie war tapfer, beschwerte sich nicht, bemühte sich, soweit es ging, selbständig zu bleiben.
Die Dienstleistungen der Pflegedienste waren nicht die, die in den Rechnungen standen, das Personal war, vor allem in den entscheidenden Positionen, sehr unfreundlich, überheblich und achtete wenig auf ihre Bedürfnisse. Sie war für sie "nur" ein Pflegefall.
Im Februar 2024 kam sie eines frühen Morgens wieder ins Krankenhaus und ungewöhnlich lange nicht mehr zurück. Sehr lange habe ich nach ihr gesucht, unzählige Anrufe getätigt und Mails geschrieben. Ein falsch verstandener Datenschutz war die Begründung derer, die etwas wissen konnten. Anfang Juni 2024 habe ich eine Nachricht von der Betreuungsbehörde bekommen, meine Nachbarin sei in einer Pflege-WG in Rudow. Im Südosten Berlins und 20 km von ihrem Kiez entfernt. Es war eine Pflege-WG des gleichen Pflegedienstes, den sie bereits in ambulanter Pflege wegen unerfreulicher Vorfälle Ende 2023 gekündigt hatte, was auch in ihrer Akte vermerkt war. Das Häuschen in Rudow stand zwischen den anderen Einfamilienhäuschen, ganz unauffällig und doch ganz abgeschottet.
Der physische und geistige Zustand meiner Nachbarin hatte sich extrem verschlechtert. Entweder saß sie im Rollstuhl neben allen anderen am leeren Tisch im tristen Wohnzimmer und sah stumpf vor sich hin, während das Personal auf der von Blumen umgebenen Terrasse seelenruhig rauchte, oder sie lag in ihrem Bett, aus dem sie nicht allein aufstehen konnte, verschnupft, ohne Taschentücher, mit geschlossenen Fenstern bei den sommerlichen +25 C. Das Personal lehnte ihr mehrfach die Begleitung zur Toilette ab. Manchmal dauerte es ein paar Momente, bis sie mich wahrnahm, und dann freute sie sich, sagte, sie wisse es zu schätzen, dass ich so einen langen Weg auf mich genommen habe. Auch andere Bewohner:innen, die ich dort gesehen habe, sahen geistesabwesend und verlassen aus. Ein hagerer Mann wollte mir etwas erzählen und freute sich sichtlich, dass ich seiner Erzählung folgen konnte. Die beiden Pflegekräfte wunderten sich über seine Reaktion, da sie selbst aufgrund von geringen Sprachkenntnissen nicht verstehen konnten, was er mit viel Nachdruck zu sagen versuchte. Ein anderer Bewohner erzählte mir ein anderes Mal leise, dass der Fernseher immer in dieser Sprache laufe, die eine Hälfte hier nicht verstehe.
Wie kann man älteren Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen in einer fremden Umgebung befinden und auf Fremde komplett angewiesen sind, auch das Hören ihrer Sprache verweigern? Das ist
doch so einfach, die Menschen wenigstens ihre Sprache hören zu lassen, etwas Vertrautes, es ist so einfach, Sendungen abwechselnd zu zeigen, damit alle etwas davon haben. Auch die übrigen Umstände empfand ich als unzumutbar. Mir wurde übrigens Anfang Juli 2024 ohne Angabe von Gründen das Hausverbot ausgesprochen. Nun konnte keine*r mehr von außen mitbekommen, wie meine Nachbarin dort behandelt wurde. Ungefähr bis hierhin ging mein Bericht im ersten Artikel.
Das empörende Hausverbot wollte ich nicht hinnehmen. Eine Mitarbeiterin des zuständigen Betreuungsgerichts wollte mit mir gar nicht sprechen, ich sei keine Beteiligte. Eine Sachbearbeiterin der Betreuungsbehörde (so viele Ämter, so schwierig die Zuständigkeiten zu überblicken), sagte, der Pflegedienst habe in diesem Fall keine Verfügung über das Besuchsrecht, ich sei in den Akten als Kontaktperson vermerkt. In einer Beratungsstelle für Pflegende wurde mir Kontaktaufnahme zur Pflegekasse und zur Heimaufsicht zur Klärung empfohlen. Die Pflegekasse hat auf meine Nachrichten nicht reagiert, bis heute nicht. Die Heimaufsicht (eine übergeordnete Stelle, die überprüft, wie es in Pflegeheimen läuft, und eigentlich die richtige Stelle für die Meldung von Missständen ist) hat sich Zeit genommen, wollte erst mal das Besuchsrecht für sich erwirken. Braucht eine Kontrollinstanz ein Besuchsrecht, um zu kontrollieren? Wie bitte? Es vergingen Wochen, es passierte nichts. Eine Nachbarin, die S seit Jahrzehnten kannte, meinte, sie kenne eine Anwältin, vielleicht lässt sich etwas machen. Ich fragte mehrfach nach. Erst Monate später sagte sie, sie habe S einmal besucht, habe sie in einem unerträglichen Zustand vorgefunden. Mehr hatte sie nicht zu erzählen. Auf Wiedersehen. - Schönen Tag noch.
Zwischen Juni und August 2024 habe ich bei der Betreuungsbehörde mehrmals nachgefragt, wie der Stand der Betreuungsbestellung ist. Noch im Januar 2024 hat meine Nachbarin einen Eilantrag gestellt, als sie eingesehen hatte, wie schwierig ihre Lage war. Am 6. September 2024 habe ich eine Nachricht vom frisch bestellten Betreuer erhalten, er habe meine Kontaktdaten und Nachrichten von der Betreuungsbehörde. Halleluja! Noch keine ganzen acht Monate waren seit dem Antrag vergangen. Er teilte mir mit, dass S in einem Krankenhaus sei, aus dem sie nicht mehr in die Pflege-WG zurückkehren würde, sondern in eine ordentliche Einrichtung. Er habe sich nämlich bereits vor Ort umgeschaut und es auch schlimm gefunden. Ich war außer mir vor Freude. Endlich das Ende des Schreckens! Er sagte, er wolle gegen den Pflegedienst vorgehen und habe auch die Heimaufsicht benachrichtigt. (Daraufhin hat sich die Heimaufsicht bei mir gemeldet, dass sie nun das Besuchsrecht bekommen habe und in der nahen Zukunft alles überprüfen könne. Ich bin immer noch ratlos angesichts dieser Vorgehensweise. Ein paar Monate später stand der Beschluss der Heimaufsicht fest: Keine Verstöße. Trotz Zeugenaussagen. Ich war noch sprachloser als davor.)
Zwei Tage nach dem Telefonat mit dem Betreuer habe ich ein paar Lieblingsspeisen meiner Nachbarin eingepackt und bin in das Krankenhaus (ebenfalls fast am Rande Berlins) gefahren. In ihrem Zimmer befand sich eine andere Frau. Der Pfleger suchte und suchte etwas im Computer, bis er mich zu sich rief und sagte, S sei entlassen und abgeholt worden. Wann? Von wem? - Gestern, vom Pflegedienst, Details solle ich beim Betreuer erfragen. War es vielleicht schon ein neuer Pflegedienst? Die Details waren: Trotz der Verfügung des Betreuers, sie nicht ohne seine Zustimmung zu entlassen, hat das Krankenhaus die Frau dem gleichen Pflegedienst "zurück" übergeben. Der Gedanke, ich sei in einem falschen Film, kann nicht das Mindeste beschreiben, was ich dabei fühlte. Es konnte nicht wahr sein, nein, bitte nicht. Mit einem lebendigen Menschen wurde wie mit einem Gegenstand umgegangen - seine seelischen und körperlichen Bedürfnisse zählten nicht, er wurde im Zimmer im hochgezogenen Bett hinter verschlossener Tür abgelegt, wenn er nicht stören sollte, ihm wurde der Besuch verwehrt und er wurde vom Krankenhaus abgeholt, sobald es wieder passte. Und das Krankenhauspersonal schaute nicht einmal in der Akte nach, von wem dieser hilflose Mensch mitgenommen wird und wohin. Aber die Auskunft darüber zu erteilen, in welcher Abteilung der Mensch liegt, das sei Datenschutz, oh oh!
Mitte September 2024 haben die Heimaufsicht und der Betreuer bestätigt, ich dürfe meine Nachbarin wieder besuchen. Ich habe auch erfahren, dass die Pflegekasse nur dann eine Nachricht bearbeitet, wenn sie von der betroffenen Person selbst oder von den Angehörigen kommt. Der Fall, dass die Person selbst es nicht mehr kann und es keine Verwandten gibt, ist nicht vorgesehen. Die Pflegekasse hätte meine Meldungen an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen weiterleiten müssen, was auch nicht passiert ist. Es hat sich auch herausgestellt, dass es eine Vollmacht gab, die meine Nachbarin angeblich irgendwann (noch in ambulanter Pflege) unterschrieben habe, in der sie praktisch alle Rechte an eine bestimmte Mitarbeiterin des Pflegedienstes D abgab, wodurch die Bestellung einer gesetzlichen Betreuung im Falle der Fälle vermieden werden sollte. Ach soo. Deshalb die Aussage, die Madame sei eine gesetzliche Betreuung. Es war also schon im Herbst 2023 alles arrangiert, ohne dass S wusste, was auf allen Seiten vor dem Feld mit dem Kreuzchen für die Unterschrift stand. Falls es überhaupt ihre Unterschrift ist. Diese Mitarbeiterin, zusammen mit zwei anderen Personen, wurde bei uns im Haus gesehen, wie sie zusammen volle Säcke und Taschen aus der Wohnung von S trugen, als diese bereits in der besagten WG wohnte. Die Betreuungsbehörde sagte in Bezug auf diese Mitteilung, das hätte nicht passieren dürfen. Schön, aber nochmal: Es gab keine Antwort, wer dem nachgehen solle. Die Behörden fühlten sich nicht zuständig und wir, Nachbarinnen, seien Unbeteiligte.
Die Haus-, Wohnungs- und Briefkastenschlüssel wurden von den beiden Pflegediensten nicht an den Betreuer ausgehändigt, seine Ersuche seien erfolglos gewesen. Unfassbar. Und einen Notfall-Schlüsselbund in der Nachbarwohnung hatte die sogenannte Betreuerin auch abgeholt, als S noch zu Hause wohnte. Als der Betreuer nach einem Gerichtsbeschluss die Wohnung betrat und das Wohnungsschloss austauschen ließ, habe es darin wie nach einem Überfall ausgesehen.
Mitte Oktober 2024 hat sich das Schicksal - oder wer auch immer - endlich meiner lieben Nachbarin erbarmt: Sie hat einen Platz in einem kirchlichen Pflegeheim bekommen. Jedes Mal, wenn ich sie später dort besuchte, dachte ich an den himmelweiten Unterschied zu den Umständen, in denen sie ein halbes Jahr davor verbracht hatte (und wo ihre Mitbewohner:innen und inzwischen bestimmt Neue immer noch sind). Hier war alles freundlich, ich merkte, dass der Betreuer und das Personal an vieles gedacht haben. Was für eine Erleichterung! Nach so viel Kampf, so viel unnötigen Kampf, der meiner Nachbarin Lebenszeit und viel Gesundheit gestohlen hat. Meine Nachbarin war gesundheitlich inzwischen noch stärker angeschlagen, sie war auch nicht durchgehend bei klarem Verstand. Aber wenn doch, freuten wir uns beide über das Wiedersehen.
Viele Dinge gehen mir immer noch durch den Kopf:
- Warum gibt es keine klaren Abläufe in so einem Pflegefall und warum gibt es keine staatliche Stelle, die die Richtung weist, bei Bedarf sofort handelt und für die Abhilfe sorgt?
- Warum war die Senatsverwaltung für Gesundheit und Pflege hilflos angesichts der Verstöße in der ambulanten Pflege? Mir wurde lediglich eine Beratungsstelle empfohlen, wo mir zwar gut und verständnisvoll zugehört wurde, aber nicht mit konkreten Handlungshinweisen geholfen, um die Situation meiner Nachbarin zu verbessern.
- Warum dauerte es acht Monate, bis ein Eilantrag auf die Betreuung bearbeitet wurde? Die wertvolle Zeit war verstrichen, in der S hätte würdevoll behandelt werden können und sich des Lebens länger erfreuen. Als der Betreuer bestellt war, hat sie das nicht mehr begreifen können. So konnte sie nicht mehr ihre letzten Wünsche mitteilen, die nach ihrem Tod hätten berücksichtigt werden können. Wir haben in ihren besseren Zeiten darüber gesprochen, dass sie an Tiervereine und an ihren früheren Chor spenden wollte, aber ein Testament habe der Betreuer nicht gefunden.
- Warum wird ein Mensch in die Pflegeeinrichtung eines Dienstes gegeben, gegen den er sich noch während der ambulanten Pflege und bei klarem Verstand entschieden hat? Wie ist sie im Frühjahr 2024 nach ihrem Krankenhausaufenthalt in dieser Pflege-WG gelandet, während es in ihrer Akte laut Betreuungsbehörde sogar einen Vermerk dazu stehe?
- Warum braucht die Heimaufsicht (die einzige Kontrollinstanz in der ganzen Kette) Wochen und Monate, um gemeldeten Verstößen nachzugehen, und findet dann nichts?
- Warum reagiert eine Pflegekasse nicht auf die Signale einer Notlage?
- Warum dauert es zehn Monate, bis das Gericht die Kündigung der Wohnung beschließt, sodass sowohl die Wohnung als auch das Pflegeheim über ein Jahr gleichzeitig bezahlt werden?
Und ganz viele andere Warums. Die Hauptfrage ist: Warum ist niemand für etwas verantwortlich? Alter und Krankheiten betreffen uns doch alle früher oder später. Was denken sich diejenigen, die in der ganzen Kette der Ereignisse nur ihren Job "9 to 5" gemacht haben? Ich habe seit dem letzten September viele Nachrichten mit dem Betreuer ausgetauscht, er fragte viel nach, ich berichtete, was ich wusste, und fragte auch. Getroffen haben wir uns nie. Ich hätte ihm gern mit der Kleidung und den Unterlagen in ihrer Wohnung geholfen, statt dass er alles allein suchen musste, ich hätte ihr gern einige Gegenstände aus ihrer Wohnung mitgebracht, die sie mochte. Ich hätte mich einfach gern von der Wohnung verabschiedet, bevor ein Räumungsunternehmen kam und alles sorglos in schwarze Säcke packte. Aber hier ging es gar nicht um mich. Ich tröstete mich damit, dass zumindest dafür gesorgt wurde, dass S in guten Händen, in guter Pflege war.
Vor knapp drei Wochen, Anfang Juli 2025, habe ich eine Nachricht bekommen, die nur ihren Namen im Betreff hatte. Bevor ich sie öffnete, ahnte und befürchtete ich schon den Inhalt: "ich darf Ihnen auf diesem Wege mitteilen ...... heute mittags friedlich ....... eingeschlafen ....."
S war eine Frau, die ihr ganzes Leben lang trotz Ehe (Hausfrausein kam nicht in Frage) gearbeitet hat, um im Alter finanziell unabhängig zu sein. Sie sang jahrzehntelang in einem Chor. Sie war Fördermitglied in mehreren gemeinnützigen Vereinen. Sie sah zu Weihnachten ihre Lieblingsfilme, sie sang und tänzelte bei den Schlagerkonzerten im Fernseher, kannte alle Hunde in der Umgebung und hatte für sie immer Leckerli dabei, sie freute sich immer sehr, wenn ich ihr etwas Selbstgekochtes mitbrachte, und bedankte sich mit ein paar Stück Obst. Sie wünschte, ihren Lebensabend zu Hause verbringen zu dürfen.
Ich finde es nicht leicht, diese Geschichte zu Ende zu bringen. Vielleicht so: Liebe S, ich denke an dich, ich hoffe, es geht dir jetzt gut irgendwo da oben.
Gastautorin aus Moabit möchte anonym bleiben (Name ist der Redaktion bekannt)
Das Magazin für Moabit