Kennen Sie den Großmarkt Beusselstraße?
Nun ja, wir bislang auch nicht. Dank der Führung mit der Geschichtswerkstatt Tiergarten hat sich das geändert. In aller Frühe, um 7.30 Uhr, sammelten wir uns am 7. April nahe der Zufahrt, hinterm S-Bahnhof Beusselstraße. Aufmunternd strahlte die Sonne an diesem kalten Morgen. Und vor uns lag das weite Gelände des Großmarktes, das 330.000 m² umfasst. Einst gehörten die Gleise zum An- und Abtransport der Lebensmittel zum grundlegenden Inventar – heute erfolgt die gesamte Belieferung für Berlin, Brandenburg bis Sachsen-Anhalt mit LKWs, also über die Straße. Ansässig sind auf dem Großmarkt Beusselstraße etwa 250 - 300 Firmen, die Zahl der Mitarbeiter beläuft sich auf rund 2.500.

Herr von Schröder, verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit, führte unsere Gruppe zunächst in die Obst- & Gemüse-Halle. Schnell wurde uns klar, dass die hier Tätigen um Stunden vor uns aufgestanden sein mussten, herrschte doch reges Treiben. Gabelstapler flitzten, gekonnt gelenkt, mit oder ohne Paletten über die breiten Gänge, nahmen rasant jede Kurve. Zum Glück rettete ein rot markierter, schmaler Pfad uns Fußvolk vor dem Getümmel. Wie es aromatisch nach Südfrüchten und Frische duftete! – Von Chaos, Dreck oder dunklen Ecken keine Spur. Die Waren schienen bestens sortiert, in hohe Regale oder auf Stapel direkt am Gang, also fürs Abholen zusammengestellt. Jedenfalls staunt da die Berlinerin, wie viel Ordnung und Übersicht hier herrscht.
Die Halle mit ihrem raffinierten Shed-Dach war von Licht durchflutet, der Kühl-Bereich sorgfältig abgetrennt. Überall gaben bunte Firmen-Schilder gute Orientierung, welches Unternehmen hier seine Waren umschlägt. Wir stoppten vor einem so genannten Voll-Sortimenter, also einem Händler mit über 350 Produkten, was besonders von den Gastronomen geschätzt wird. Aha. Wer etwas kaufen will: 1 Stiege ist die kleinste Menge.
Von diesem, auch Fruchthof genannten Komplex marschierten wir zu den Schnittblumen. Ob zu Valentins- oder Frauentag, zu Pfingsten oder überhaupt – wer als Händler frische Blumen vertreiben will, wird hier fündig. Nur ist die Ware weniger übereinander, sondern vielmehr nebeneinander sortiert – Blumen brauchen eben Platz. Und, was die Sorten und Farben anbelangt, bleiben wohl keine Wünsche offen: Rosen, Tulpen, Nelken … – na, Sie sehen die Auswahl dann ja in Ihrem Blumenladen. Wir erfuhren: 80 % der Blütenpracht in dieser Halle stamme aus holländischen Gewächshäusern. Und alles, was Wurzeln hat, sei besonders im Wachstum begriffen: wie Blumentöpfe jeglicher Art oder z. B. Zitronenbäumchen.

Im Warmhaus stehen Pflanzen, die aus deutschen Gärtnereien stammen, d.h. ohne lange Transportwege. Im Kalthaus sind jene Pflanzen untergebracht, die dann den Sommer draußen verbringen und keinen Frost bekommen dürfen. Etwa 2/3 ist Lagerfläche, 1/3 Verkaufsfläche. Übrigens: der Blumen-Verkauf am Karfreitag begann um 4 Uhr früh - gegen 9 Uhr war Schluss. Das sind wirklich andere zeitliche Dimensionen.
Die Fleischhalle besichtigten wir nicht, warfen dafür aber einen Blick auf die Produktion der 5000 m² Solarfläche auf den Dächern. Deren Leistung wird von hier ins Vattenfall-Netz eingespeist. Der Markt selbst benötigt natürlich Kühlung, Wärme und Strom.
Errichtet wurden 1958 die Hallen für West-Berlin - vom Architekten Bruno Grimmek. Entscheidend für diesen Standort waren natürlich der Gleis-Anschluss, die Nähe des Westhafens und die Autobahn – wie Andreas Szagun anschaulich erläuterte. Oder gar der Flughafen Tegel? Wer weiß?
Überlegungen zu einem zentralen Großmarkt stellte man in Berlin bereits 1900 an. Seit 1886 gab es ja kleine Markthallen – die erste am Schiffbauer Damm, aber auch am Alexanderplatz, in Kreuzberg oder Tiergarten. Noch heute erfreuen wir uns an der Arminiushalle. Die kennen Sie natürlich, oder?
Text und Fotos: Gudrun Radev
Nachtrag:
Reportage über den Großmarkt in der Berliner Zeitung.
Händler wollen den Großmarkt Beusselstraße selbst übernehmen (Tagesspiegel). Hier nochmal bei qiez.de
Aber das wird wohl nichts, weil der Senat selbst modernisieren will (rbb und Tagesspiegel).
Ein neuer Anlauf (Berliner Zeitung), Zitat: "Der Fruchthof steht an der Spitze der Moabiter Unabhängigkeitsbewegung".
Tagesspiegel: Kritik am Senat, obwohl jetzt Gespräche angesagt sind (s. Kommentar Nr. 23).
Tagesspiegel: Geschäftsführer Peter Stäblein entlassen.