"Ihr seid doch schon viele!"

Der "Runde Tisch Gentrifizierung“ in Moabit debattiert über steigende Mieten und die Frage: Was kann man tun?

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Der Zulauf zur Veranstaltung "Mietenstopp in Moabit” am 16. Februar hatte alle Erwartungen gesprengt: Nicht nur alle Sitzplätze waren belegt, sondern auch sämtliche Stehplätze. Mehr als hundert Moabiter verschiedenster Alters-und Stilgruppen waren der Einladung in die "Zunftwirtschaft” in der Arminiushalle gefolgt, um an einem Samstagnachmittag über Gentrifizierung in Moabit zu diskutieren.

Die erste Frage war: Sind stark ansteigende Mieten in Moabit ein Thema für uns? Die zweite: Wenn ja – was können wir tun? Andrej Holm, Stadtsoziologe und Moabiter Anwohner, moderierte. Als Impulsgeber waren Wilfried Jugl von der Bezirksgruppe Mitte des Berliner Mietervereins eingeladen sowie Tobias und Samira vom Netzwerk "stadtvernetzt", Mitorganisatoren der großen "Mietenstoppdemo“ im Jahr 2011. Außerdem Rainer Balcerowiak von der “Mieterinitiative im Aktiven Zentrum Turmstraße” und Susanne Torka von der Initiative “Wem gehört Moabit?”.

Rasant steigende "Angebotsmieten“
Zur ersten Frage, ob exorbitante Mietsteigerungen bzw. Verdrängung in Moabit bereits sichtbar seien, gab Wilfried Jugl in die Diskussion, dass aus dem Wohnungsreport der GSW zwischen 2011 und 2012 für Tiergarten bei den Angebotsmieten eine Mietsteigerung von rund 13 Prozent ablesbar sei. Diese "Angebotsmieten" drücken aber zunächst lediglich die Mieterwartungen von Eigentümern bei Neuvermietungen aus, die zum Beispiel aus Wohnungsannoncen zu ersehen sind – sie spiegeln also nicht das allgemeine Mietniveau der Gegend wider. Jedoch weisen sie auf eine hohe Dynamik hin.

Anders als in Mitte-alt, wo sich bereits alles auf hohem Niveau eingepegelt habe, seien die Preise, die in Moabit bei Neuvermietungen genommen werden, derzeit massiv im Steigen begriffen, so Jugl. Zum Teil würden schon 15 Euro pro Quadratmeter kalt verlangt. Susanne Torka brachte die Ergebnisse einer Eigentümerkartierung aus dem Jahr 2011 mit ein: In 800 Ost-Moabiter Häusern war es gelungen, die Eigentümer zu ermitteln – 46 Prozent von ihnen gehörten bereits schon damals Immobilienfonds.

"Wie werden wir handlungsfähig?“
In der Einschätzung, dass ein Verdrängungsprozess schon sichtbar, mindestens aber im Gange sei, schien man sich weitgehend einig. Weit strittiger war: Was können wir tun? “Wie werden wir gemeinsam handlungsfähig?”, formuliert es Holm. Und um die große Frage in eine konkrete zu verwandeln, die man von Mensch zu Mensch bespricht, fragt er: Wie kommen wir als Nachbarn zusammen? Und lässt für zehn Minutenje zwei Stuhlreihen miteinander diskutieren. “Hoffest”, “persönliche Einladungen”, "Klinkenputzen, "Adressensammeln“, "Nachbarschaftstreffen“, "Hausversammlung“, notierten die Diskutanten auf Zettel. Jemand sammelt sie und pinnt sie vorn an eine Wand.

Dann erhebt sich ein älterer Herr in schwarzen Jeans und erzählt, wie es ihm in seinem Haus in Moabit erging, als die Sanierung anstand und sich die Nachbarn zusammenfanden, um gemeinsam zu handeln. Wie sich bald zeigte, dass alle Parteien unterschiedliche Interessen hatten, weil sowohl die Ansprüche als auch die Einkommen weit auseinander klafften, und wie schließlich alles zerbröselte. "Bei uns war das ähnlich“, sagt ein Mädchen ganz hinten. "Bei uns auch“, sagt ein anderer.

Ursachen der Verdrängung, Folgen, Handlungsmöglichkeiten
In der darauffolgenden Diskussion, in der versucht wird, den Mechanismen nachzugehen, die zuVerdrängung führen, wirken die Zettel mit "Nachbarschaftstreffen“ und "Hausgemeinschaft“ bald recht zahnlos und klein und irrelevant: Die Knappheit an bezahlbaren Wohnraum sei doch ein Gesamtberliner Phänomen, sagt jemand. Der Zuzug bei mangelndem Angebot spiele eine Rolle, ebenso die südeuropäische Wirtschaftskrise, die Baupolitik und der neoliberale Großangriff. Man müsse Mietobergrenzen einführen. "Das ist Bundespolitik“, wirft ein junger Mann ein. Man müsse Milieuschutz installieren, rät einer. Ein anderer schimpft laut über das Quartiersmanagement und das Sanierungsgebiet. Auch ein Säugling erhebt immer wieder die Stimme, und in Abständen springt durch einen technischen Fehler eine Lichtorgel an und taucht alles in ein dramatisches Licht. Wer bekommt das Knäuel von Ursachen, Folgen und Handlungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen wieder auseinander? Und wer kriegt das Stroboskop wieder aus?

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Beides gelingt. Nach und nach werden die Faktoren sondiert, die zu Mietsteigerungen führen. Diejenigen werden ad acta gelegt, die man nicht beeinflussen kann – wie die Lage nah am Regierungsviertel und am Hauptbahnhof – und diejenigen fokussiert, die eventuell formbar sind. In einem weiteren Schritt werden sie sortiert, den verschiedenen Politikebenen zugeordnet und in Forderungen verwandelt, die man an das Bezirksamt, das Land oder den Bund richten kann: Eine Forderung an den Bezirk wäre demnach zum Beispiel eine Milieuschutzsatzung für das Sanierungsgebiet. Zwar bringt sie keine Mietobergrenzen – aber dort, wo sie gilt, unterliegen mietsteigernde Baumaßnahmen sowie Grundstücksverkäufe einer Genehmigungspflicht. Und wann, wenn nicht jetzt, wäre das sinnvoll? Solange der Gentrifizierungsprozess noch nicht abgeschlossen, aber gerade im Gange ist?

Eine weitere Forderung an den Bezirk wäre, städtebauliche Verträge oder Bebauungspläne als Instrumente einzusetzen, um bei Neubauprojekten den Bauherren eine bestimmte Quote Wohnungen im niedrigen Mietsegment abzuverlangen. Andrej Holm sagt, dass in anderen Bezirken, beispielsweise in Lichtenberg, solche Verfahren bereits angewandt werden. Vom Berliner Senat könnte man schlussendlich fordern, den "rechtsverbindlichen Wohnungsnotstand” festzustellen. Dann würde der Paragraph 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes in Kraft treten. Und dies wiederum hieße, dass auch bei Neuvermietungen die Miete maximal um 20 Prozent erhöht werden darf.

Bürger können politischen Druck machen
"Mit diesen und weiterenVorschlägen könnten wir eine alternative Politikberatung anbieten“, fasst Andrej Holm irgendwann die Diskussion zusammen. Er schaut auf die Uhr und blickt in die Runde. Aber die Diskutanten, die auf Stühlen sitzen, an Wänden lehnen, Standbein und Spielbein wechseln, zeigen keinerlei Anzeichen von Müdigkeit. Obwohl man inzwischen schon seit etwa zwei Stunden tagt, Kinder geschaukelt und hin und her getragen werden, wütende Zwischenrufe fallen, begeistert applaudiert wird und immer wieder mal jemand von der Bar draußen Erfrischungen bringt. Dabei steigt hier kein Rockkonzert, sondern eine Diskussion über Mieten und Wohnungspolitik. "Wir müssten uns noch viel tiefer in die Materie hineinarbeiten“, sagt eine sehr junge Frau unverdrossen. "Das könnten wir“, entgegnet Holm. "Aber überlegen wir doch mal, was unsere Rolle ist. Sind wir ein politischer Ausschuss oder eine Expertenkommission? Haben wir als Bürger nicht andere Möglichkeiten?“

“Wir müssen politischen Druck aufbauen”, schlägt eine andere Frau vor, und die Idee findet Beifall. Jemand wirft ein, man könne regelmäßig vor dem Rathaus in der Müllerstraße demonstrieren. Oder eine berlinweite Demo planen – vielleicht im Vorfeld der Bundestagswahl. “Aber wie schaffen wir es, eine größere Bewegung zu werden?“, wird immer wieder gefragt.

“Ihr seid doch schon viele”, sagt Samira, die der Mieterinitiative "Karla Pappel“ aus Alt-Treptow angehört. Auch diese Initiative habe als Anwohnergruppe angefangen. Erst im nächsten Schritt hätten sie weithin sichtbaren politischen Druck erzeugt, indem sie sich mit anderen lokalen Gruppen zusammenschlossen und die Mietenstoppdemo planten, an der schließlich 6.000 Menschen teilnahmen. Aber die Basis seien Anwohner, die zusammenfinden, um ihr Anliegen in die eigenen Hände zu nehmen.

Als Stadtteilgruppe hätten sie zunächst Kiezspaziergänge organisiert, erzählt Tobias von „stadtvernetzt“.  Sie hätten Interessierten im Kiez gezeigt, was in konkreten Häusern "hinter den Fassaden“ passiert. "Wir sind zu Besichtigungen überteuerter Wohnungen gegangen und haben laut gesagt, dass uns das nicht passt“, ergänzt Samira. All das seien kleine Dinge, die aber wirkungsvoll seien. Entscheidend sei, dass man anfange zu handeln. Über das Handeln stießen nach und nach mehr Akteure dazu. "Nachbarschaften“ nennt Samira den "sozialen Kitt“ dieser lokalen Bündnisse, die nicht die Zugehörigkeit zur selben Hausgemeinschaft, sondern die Entschiedenheit eint, sich persönlich einzusetzen. "Dass wir so erfolgreich werden, hätte niemand von uns am Anfang gedacht.“

"Wie entsteht so etwas?“, wird gefragt. Tobias sagt, eine Initialzündung könne zum Beispiel ein Anwohnertreffen sein, bei dem Bewohner über Alters- und Stilgrenzen hinweg über ein bestimmtes Thema diskutieren. Überhöhte Mieten zum Beispiel oder ein Bauprojekt.

Am Ende des Abends verabredet man, sich in zwei Wochen wieder zu treffen. Immerhin soweit sind die Anwesenden sich einig: Der nächste Schritt muss ein weiterer Runder Tisch sein, an dem man weiterdiskutiert.

Text: tv, Bilder: Christoph Eckelt, bildmitte

Zuerst erschienen in "ecke turmstraße", Nr. 2 - märz 2013.

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