Wenn mich ein Buch wirklich reizt – Hans Fallada als Literaturkritiker
Ausstellung in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung Berlin-Moabit vom 30. März bis zum 9. Mai 2025. Hans Fallada (1893 – 1947), der weltberühmte
Wenn die Redewendung, jemand sei dort, wo er lebt, verwurzelt, mal wirklich zutrifft, dann bei Heidi Neugebauer. Sie wohnt nicht nur in der Straße ihrer Kindheit, sondern sogar in der Wohnung, in der sie einst mit Eltern und Geschwistern aufwuchs. Wieder. Fast zwanzig Jahre war sie weg. Zunächst in Amerika, dann in Hamburg. 1985 dann – wieder Moabit.
Foto: Christoph Eckelt (Ausschnitt)
Die Entscheidung hatte nichts mit Sentimentalität zu tun, eher mit Pragmatismus. Die Mutter war 1977 gestorben, und Heidi Neugebauer erbte vier Mietshäuser, ihre Geschwister wurden ausbezahlt. Die Häuser wurden verwaltet und mit der Zeit stellte sich heraus, dass das Erbe auf diese Weise zum Zusatzgeschäft wird. Da wollte sie sich doch lieber selbst um die Häuser kümmern. Nun hätte sie ja nicht gleich auch selbst einziehen müssen, es gibt ja viele schöne Gegenden in Berlin. Auch bei dieser Entscheidung gab wieder eine ganz praktische Einsicht den Ausschlag. Wer als Eigentümer und Vermieter selbst im Haus wohnt, weiß besser, was im Haus los ist und was nicht los ist. Für ein Mietshaus hängt ja schließlich viel davon ab, ob die Menschen gern darin wohnen und das wiederum – das ist natürlich eine Binsenweisheit – von der Atmosphäre, und die wiederum davon, ob die Mieter zueinander passen. Wer aber ins Haus passt und wer nicht, kann Heidi Neugebauer selbstverständlich viel besser beurteilen, wenn sie selbst drin wohnt. Mieter sind keine Wesen, die man bestenfalls an der Pünktlichkeit oder Unpünktlichkeit ihrer monatlichen Überweisungen unterscheiden kann, sie haben ein Gesicht, ein alltägliches Gesicht, sie haben Gewohnheiten, sie sind Nachbarn. Und das ist nicht idealisierend gemeint, sondern wieder nur pragmatisch.
Seit 1991 im Betroffenenrat Stephankiez
Die Frage, ob sie gern in Moabit lebt, beantwortet Heidi Neugebauer nicht direkt. Wahrscheinlich hat sie selber sich diese Frage auch nie gestellt. Es ist eben wie es ist, wegen der Verwurzelung. Aber da es nun mal so ist, fühlt sie sich durchaus auch als Bürgerin, die sich an den Angelegenheiten des Kiezes beteiligen will. 1991 wurde sie das erste Mal in den Betroffenenrat gewählt, seit dem ist sie dabei.
„Hier leben viele Menschen, die sich nicht verantwortlich fühlen, die machen die Tür zu, und alles andere geht sie nichts an.“ Das sagt sie auf die Frage, ob sie gern hier wohnt. Und: „Manchmal habe ich den Eindruck, die Leute wollen nicht von uns vertreten werden, sie wollen sich keine Gedanken machen.“ Sie wird trotzdem auch weiterhin mitmachen. Heidi Neugebauer hat sich gegen die Einrichtung des Drogenkonsumraums engagiert, weil sie negative Auswirkungen für die Gegend befürchtete. Heute sagt sie: „Der Drogenkonsumraum fällt überhaupt nicht auf.“ Womit sie aber nicht sagen will, dass sie nicht mehr dagegen ist, sondern: „Die Statistik müsste mal überprüft werden.“
Auf dem Paech-Brot-Gelände muss ihrer Meinung nach etwas hin, was Menschen auch aus anderen Bezirken anzieht, beispielsweise ein Hammam. Dafür gäbe es bestimmt Bedarf, und es würde auch in die Gegend passen. Ihr Engagement im Betroffenenrat, sagt sie, würde von einigen auch kritisch gesehen. Sie würde da ja doch nur ihre Interessen als Hausbesitzerin durchsetzen wollen. Die wird sie wohl haben, wie sollte es anders sein, aber im Gespräch wird auch deutlich, dass sie darüber hinaus denkt und weiß, dass ihre eigenen Interessen und die des ganzen Stephankiezes nicht gegeneinander stehen. „Man muss auch mal uneigennützige Ideen verfolgen. Ich habe das geerbt, und ich habe viel Glück gehabt damit, wenn auch Vermieterei nicht nur Spaß ist. Ich will etwas davon zurück geben.“
Dass Heidi Neugebauer Moabiterin ist, hört man ihr nicht an. Sie spricht eher wie eine Norddeutsche Frau. Das Berlinern war schon in ihrem Elternhaus verpönt. Dazu kommen wahrscheinlich Einflüsse ihrer Jahre in Amerika und in Hamburg. Immerhin sieben Jahre New York, wo die gelernte Redakteurin unter anderem bei einer deutschen Zeitung und bei der dpa gearbeitet hat. Eigentlich wollte sie Ende der sechziger Jahre nur mal ihren älteren Bruder besuchen, der nach dem Krieg, wie sie sagt, ein richtiger Amerikafan war und schließlich mit allen Konsequenzen ausgewandert ist und die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Und dann ist sie, nicht bei ihm, sondern in New York hängen geblieben. Nach sieben Jahren dachte sie, deutsche Staatsbürgerin in New York, das gehe auf die Dauer nicht, sie müsse sich entscheiden. Amerikanerin wollte sie dann aber doch nicht werden. „Wenn ich New Yorkerin hätte werden können, wäre ich vielleicht dort geblieben, aber so bin ich zurück nach Deutschland gekommen.“
Die Fabrik des Urgroßvaters
In Hamburg arbeitete sie unter anderem auch bei der Zeitschrift „Geo“ und beim Springer-Verlag. Und dann kam die Erbschaft. Und die geht genau genommen zurück auf ihren Urgroßvater, der nämlich 1884 in Moabit eine Fabrik gegründet und 1893 im Hinterhof zwischen der Havelberger Straße und der Birkenstraße ein Fabrikgebäude gebaut hat. Dazu gehörten die Häuser Birkenstraße 18 und 19, später hat er dann die Häuser Havelberger Straße 29 und 30 dazu gekauft.
Ihr Urgroßvater mit dem schönen Namen Ernst Lebrecht Lentz war Schlossermeister. „Er war ein sehr und vielfältig engagierter Mann hier in der Gegend“, hat schmiedeeiserne Türbeschläge für die Kirche gestiftet und saß im Armenkommissionsrat und im Vorstand der Genossenschaftsbank Moabit und in verschiedenen Gremien.
Was er da fabrizierte waren aber damals noch recht außergewöhnlich Dinge. Er betrieb nämlich eine „Spezial-Fabrik eiserner Krankenmöbel und Bedarfsartikel für die Krankenpflege“ – so steht es auf einem alten Firmenkatalog. Und: „Langjähriger Lieferant der Königlichen Chariteé, vieler königlichen Universitätskliniken, des Rudolf-Virchow- und anderer städtischer Krankenhäuser, Privatkliniken, Sanatorien, Lungenheilstätten und Kinderkliniken des In- und Auslandes.“
Das Pfiffige an Ernst Lebrecht Lentz war, dass er einen guten Kontakt zu dem Verwaltungsleiter des Krankenhauses Moabit zu nutzen wusste. Denn von ihm erfuhr er, was genau in Krankenhäusern gebraucht wird, wie ein Krankenbett verstellbar sein muss, was für einen Operationstisch besonders wichtig ist, und wie ein Organteller geformt sein sollte und so weiter. Die Geräte wurden im Moabiter Krankenhaus ausprobiert, dann verbessert und schließlich in alle Welt verkauft. In den besten Zeiten beschäftigte Ernst Lebrecht Lentz um die hundert Angestellte.
Das kann man sich heute kaum noch vorstellen, hundert Arbeitsplätze in einem Hinterhof. Doch alle Fabriken haben irgendwann ihren Höhepunkt und irgendwann ihren Tiefpunkt. 1925 starb Ernst Lebrecht Lentz, in den 30er Jahren – inzwischen war auch der Großvater schon tot – ging die Firma pleite. „Meine Mutter“, sagt Heidi Neugebauer, „stand vor einer leeren Kasse und die Arbeiter wollten Geld. Nach diesem Erlebnis wollte sie nie wieder selbständig sein.“
Nach dem Krieg wurde in den Räumen der Fabrik Mode geschneidert, doch aus das ist keine Branche, die in Berlin überlebt hat. Am liebsten würde Heidi Neugebauer die vier Fabriketagen zu Ateliers machen. „Wie schön wäre es, wenn die Künstler hierher kämen – das war in New York auch so.“ Ja, das wäre wohl schön, auch für die Gegend, ein bisschen New York in Moabit. Nur gibt es leider nicht so viel Künstler in Berlin wie leer stehende Fabriketagen. Diese übrigens stehen nicht leer.
Text: Burkhard Meise zuerst gedruckt in: stadt.plan.moabit, Nr. 27, März 2005