Jetzt kommt die Vielfalt der Welt nach Moabit. Eine Buchhandlung, geführt von der Literaturagentin Sharmaine Lovegrove. Die möchte den Verlagen zeigen, was sie falsch machen.
Wir haben unseren Veranstaltungskalender überarbeitet und um neue Quellen ergänzt. Hier ein Überblick über die wichtigsten Neuerungen:
1. Neue Filtermöglichkeiten
Dr. Andrej Holm forscht und lehrt Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität. Seine Schwerpunkte sind Gentrification, Wohnungspolitik im internationalen Vergleich und Europäische Stadtpolitik. In den 90er Jahren war er insbesondere in Prenzlauer Berg aktiv, wo er lange lebte, engagierte sich gegen Verdrängung und hat die dortigen Entwicklungsprozesse intensiv untersucht. Inzwischen lebt er in Moabit.
Gentrifizierung war bis vor einigen Jahren vor allem ein Fachwort der Soziologie, inzwischen wird in der ganzen Stadt darüber gesprochen. Im Wedding, in Moabit oder Neukölln fürchtet man heute massive Aufwertungsprozesse, die Mieten steigen. Ist das vergleichbar mit der Entwicklung in Mitte-alt, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain vor 15 Jahren, wo liegen die Unterschiede?
Holm: Anders als in den Sanierungsgebieten der 90er Jahre gibt es heute keine massiven staatlichen, politisch organisierten Anreize mehr, keine Fördermittel für Wohnraummodernisierung, keine steuerlichen Sonderabschreibungsmöglichkeiten. Es gibt auch keinen vergleichbaren vollständigen Wandel der Eigentümerstruktur, wie er damals in Ostberlin durch Rückübertragungen und Privatisierung stattgefunden hat.
Der Druck, der heute in Moabit und Wedding auf Wohnungsteilmärkten lastet, hängt vielmehr mit der Verdrängung in anderen Berliner Gebieten zusammen. Es sind die letzten Bereiche innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings, die als Rückhaltebecken oder Ausweichmöglichkeit fungieren. Man sieht das an Umzügen von Bewohnern mit türkischen Wurzeln oder auch von Studenten. Die hohe Mobilität wird also wesentlich getragen von Aufwertungsverlierern auf der Suche nach bezahlbaren Wohnungen. Das kann aber trotzdem zu Aufwertung führen, z.B. durch Studenten-WGs. Manche nennen das einen Verdrängungskampf von Armen gegen noch Ärmere. Der Druck wird hier nicht durch Modernisierung und Umwandlung erzeugt, sondern durch die Differenz von Bestandsmieten und Neuvermietung, von der die Eigentümer profitieren.
Preiswerter Wohnraum wird immer knapper in der Innenstadt, aus dem einstigen Mietermarkt mit Wohnungsleerstand ist ein Vermietermarkt geworden. Aber verbreitet ist auch die Auffassung, dass die Aufwertung durch Infrastruktur, durch Szenekneipen, Kunst und hochwertiges Gewerbe zur Verdrängung beiträgt, weil Viertel plötzlich als attraktiv gelten.
Holm: Meiner Meinung nach wurde dieser Effekt schon Prenzlauer Berg und Mitte überschätzt. Dort waren vielmehr die riesigen Investitionsanreize entscheidend – Steuersparer aus ganz Westdeutschland wurden quasi dazu eingeladen, die Häuser im Osten zu sanieren. Der Kernprozess der Gentrifizierung ist die Wechselwirkung zwischen einer wohnungswirtschaftlichen Gewinnstrategie für die Eigentümer und den sozialen Folgen für die Bewohner. Der Einfluss der Kulturszene wird dagegen oft überschätzt.
In der internationalen Forschung gibt es jedoch zahlreiche Studien zu Großprojekten, die Gentrifizierungsprozesse auslösen - so wurden beispielsweise in Peking ganze Viertel für die Olympiade einfach abgeräumt.
Wenn es um die Neugestaltung von Parks oder Plätzen wie dem Leopoldplatz geht, ist in den Aktiven Zentren und Sanierungsgebieten oft von erwünschter Aufwertung die Rede. Das verunsichert Bewohner, weil sie Aufwertung mit Verdrängung assoziieren.
Holm: Die Umgestaltung von Parks ist in Moabit und Wedding keine Anreizstruktur für Investoren. Das muss man nüchterner sehen. Es geht hier vielmehr darum, welche Auswirkungen konkrete Maßnahmen für einzelne Nutzergruppen haben, beispielsweise, ob Trinkergruppen in Nischen verdrängt oder aber einbezogen und als Teil des Gebiets akzeptiert werden. Da geht es um die Aushandlung von Interessen unterschiedlicher Gruppen und deren Durchsetzungskraft.
Aufwertung der Gebiete, Sanierung, Gentrifizierung, Verdrängung sind Begriffe, die oft eher undifferenziert vermengt werden. Und auch die Wünsche etlicher Bewohner sind ja oft widersprüchlich: Sie klagen einerseits über Billigläden und türkische Imbisse beispielsweise in der Turmstraße, wünschen sich hochwertigere Angebote, zugleich klagen sie aber über stetige Verteuerung - auch bei den Mieten.
Holm: Die Turmstraße spiegelt mit ihrer Gewerbelandschaft erstmal einfach die soziale Situation wider - und ihr Wandel dokumentiert eher, wie sich das Quartier verändert. Wenn in der Elberfelder Straße ein Bio-Eisladen aufmacht, dann ist das nicht der Startschuss der Gentrification, sondern vielmehr ein Indikator für bereits stattgefundene Entwicklungen: Zumindest die Ladenbetreiber scheinen davon auszugehen, dass es eine lokale Kundschaft für 1,20-Euro-Eiskugeln gibt.
Andrej Holms Gentrification Blog und ein Film seines Beitrags zum Internationalen Architektursympsium zur Redefinition der "Wohnung für das Existenzminimum", 10./11. Dezember 2011, min2max. Das Interview auf dem Gentrification Blog hat eine Einleitung zu den Mietsteigerungen in Moabit/Tiergarten bekommen mit Zahlen von 2007 bis 2011.
Nachträge
: Das ZDF strahlte in der Reihe 37 Grad den Film "Unschuldig hinter Gittern" aus, der die Schicksale von drei Menschen, die unschuldig inhaftiert waren, einfühlsam beleuchtet und deutlich macht, wie wichtig die Unterstützung von Familie und Freunden in dieser Situation ist.
Zum Stadtentwicklungsplan Wohnen Vortrag von A. Holm bei der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stifung am 4.3.2013.
Bei der rbb Abendschau am 8.3.14 über Mieterverdrängung an den Stadtrand:
https://www.youtube.com/watch?v=Wb_v4Sqe5bo
A. Holm hat sich in der Jauch-Talkshow am 30. März 14 gut geschlagen. Jetzt haben vielleicht einige kapiert, dass die sog. "Mietpreisbremse" der Großen Koalition hauptsächlich den Mittelschichten was bringt (Presseberichte in der Welt, Spiegel, Stern und der Osnabrücker Zeitung)
[Hinweise auf nicht mehr verfügbare Videos von 2014 wurden gelöscht]
Am gleichen Tag im Deutschlandfunk zu A. Holms neuem Buch "Mietenwahnsinn", den Beitrag "Warum Wohnen immer teurer wird" kann man noch nachhören.
Mietenwahnsinn, Teil 1 - Rosa-Luxemburg-Stiftung in Freiburg
Tagesspiegel zeigt mal wieder bezeichnend das Geschichtsbild der CDU mit der herbeigezogenen Argumentation früherer Stasi-Mitarbeit und Linksextremismus. Da sollten wir mal an das unwürdige Gezerre in der BVV Tiergarten erinnern, mit dem sich die CDU gegen die Benennung des Rathausvorplatzes nach Mathilde Jacob, der Sekretärin Rosa Luxemburgs lange gewehrt hat.
Weitere Stimmen im Tagesspiegel nach dem Parteitag der Linken und Kommentar. Die B.Z. dokumentiert seine Akte und zietiert dabei eine Erklärung des 14jährigen! Woraufhin sich A. Holm via twitter für die "schnelle und vollständige Veröffentlichung" bedankt.
Zitat aus der Berliner Zeitung: "Der Baustadtrat in Mitte, Ephraim Gothe, sagte: „Sowohl Holms jugendliches Alter in der betreffenden Zeit als auch sein offener Umgang mit dieser Phase seines Lebens bewegen mich dazu, diese Vergangenheit zu entschuldigen.“ Holm habe sich in der Debatte um eine fortschrittliche Wohnungspolitik erhebliche Verdienste erworben. „Ich freue mich darauf, gemeinsam mit ihm richtungsweisende Schritte in der Stadtentwicklung vorzudenken und umzusetzen.“ Und endlich mal ein differenzierter Artikel: "Eine freie Gesellschaft gibt ihren Bürgern Chancen" (Berliner Zeitung), auch noch mal Tagesspiegel, die TAZ, nochmal TAZ und Zeit und jetzt ist es aber genug.
Ausschnitte von Beiträgen des Ex-Staatssekretärs, der Initiativen Stadt von Unten, Kotti & Co und Studierenden der Humboldt-Universität von der gestrigen Veranstaltung mit Andrej Holm im ExRotaprint sind hier als Video und Audio dokumentiert. In voller Länge hier.
Alles ist vergänglich. Bei manchen Dingen macht uns das traurig, bei anderen freut es uns. Und Street Art wäre ohne gar nicht denkbar. Schade nur, dass es so schwer ist, das zu akzeptieren.
Man weiß erst, was man hatte, wenn es fort ist. Mit dem Merhaba Discount geht ein Herzstück des Moabiter Lebens verloren. Aber die Menschen werden seiner gedenken.
Die Berliner Kinos leiden. Die Besucher bleiben weg und das Geld fehlt gerade den kleinen Betreibern. Wenn die Kinos sterben, geht eine jahrhundertealte Tradition verloren. Und ein Stück Demokratie.