Willkommen in Moabit!

Folgendes oder ähnliches haben bestimmt die meisten Menschen schon einmal gehört, wenn sie erwähnt haben, dass sie in Moabit wohnen:
"Moabit? Ach, da wo das Gefängnis ist!"
"Und du traust dich auch ohne Pfefferspray aus dem Haus?"
"Hast du schon Türkisch gelernt?"
"Warum ziehst du nicht nach Kreuzberg?"
"Ist es nicht der Bezirk in Berlin, wo überall Hundekot auf den Straßen liegt und die Bullen sich nicht mehr die Mühe machen, das Blaulicht auszuschalten?"

knast

Dazu kann ich als frisch (Wieder-) Zugezogene nur sagen: Moabit hat nicht nur ein Gefängnis, sondern zwei. Allerdings ist eines davon Teil der JVA Plötzensee, die wiederum nicht in Moabit liegt. Und bei denen sitzt jeder Dritte wegen wiederholtem Schwarzfahren. Und da fürchte ich eher um meine persönliche Sicherheit, wenn Insassen aus der Reinickendorfer Forensik ausbrechen, als wenn ehemalige Schwarzfahrer durch die Stadt spazieren (oder weiterhin schwarz fahren, wer weiß).
Und die JVA Moabit hatte unter anderem den guten alten Honecker als Dauer-Gast. Auch diesen Zustand empfinde ich als alles andere als bedrohlich, sondern als durchaus förderlich.

In den insgesamt 2 Jahren, die ich hier gewohnt habe/wohne, hätte ich nie ein Pfefferspray gebraucht, dafür sind ein paar Sprachgrundlagen in Türkisch, Arabisch, Persisch, Indisch, Swaheli, Schwedisch, Französisch, Englisch, Polnisch, Russisch und, ach ja, Deutsch schon sinnvoll, wenn man sich auf diesen Straßen hier verläuft und man jemanden nach dem Weg fragen muss. Mit den oben genannten Sprachen müsste eine erfolgreiche Kommunikation durchaus möglich sein. Vor allem, weil sich bestimmte, meist pubertierende Bürger gerne in ihrer Landessprache, gemischt mit gebrochenem Deutsch, über ihre "ausländischen" Mitmenschen aufregen. Ein Verständnis hilft nicht nur für eine potentielle Konfliktlösung, sondern kann auch durchaus zur persönlichen Erheiterung beitragen.

Die simple Antwort, warum man sich für Moabit und nicht Kreuzberg entscheidet ist die, dass man in diesem Bezirk sein Auto durch die Gegend fahren kann, ohne dass an jeder roten Ampel hysterische Menschen in bunten und nicht immer sauberen Klamotten auf die Motorhaube springen und sich aufdrängen unbedingt die Fensterscheibe putzen zu wollen - und man sie anschließend für etwas entlohnt, wofür man danach noch mal zu einer richtigen Autowaschanlage fahren muss. Im Übrigen bin ich als Frau in Kreuzberg noch öfters nachts angepöbelt worden, während sich die Nachtschwärmer Moabits dagegen verbal zurückhielten. Wer nachts im Park verprügelt wird, sollte seine Lehren daraus ziehen und sich nachts auch nicht im Park rumtreiben.

Die Anwesenheit und Erreichbarkeit von Polizei ist sogar besser als in der hinterletzten Ecke von Wannsee, wo man bei Notruf wegen Einbruch gute 20 Minuten darauf warten muss, bis die Polizei sich durch die Haupt- und Nebenstraßen durchgeschlängelt hat. Hier hat man, wie überall woanders im Berliner Zentrum auch, eine ausreichende, aber beruhigende Polizei-Präsenz. Außerdem sind zwar oft Polizisten zu sehen, allerdings nur, weil sie die Strecke zwischen Flughafen Tegel und dem Regierungsviertel absichern, wo ein Teil nun mal durch Moabit verläuft. Die Anwohner dieser Strecke haben daher die optimale Möglichkeit einen Blick auf Staatsgäste und kleine Berühmtheiten zu erhaschen. Und ein kleiner Trost: Der TXL-Bus pendelt durch Moabit auch zwischen Flughafen Tegel und Innenstadt hin und her. Eine gewisse Vorzeigbarkeit muss das Stadtviertel ja haben, dass die Berliner Verkehrsbetriebe unschuldige Touristen durch diesen ach so verrufenen Stadtteil fahren lassen.

Bleibt also die Frage: Welchen Reiz hat Moabit, dass es so viele junge und alte Menschen aus verschiedenen Stadtteilen, verschiedenen Städten und verschiedenen Ländern anzieht?
Ganz einfach: Wir haben zwar die Gefängnisse, dafür keine Kläranlage oder Mülldeponien. Für eine frische Stadtluft sorgen zwei Parks, wo man neben den typischen Spaziergängern, Obdachlosen, Drogendealern auch Sportler und Familien antrifft und sich dort ebenso gut einen Sonnenbrand holen kann wie in anderen Berliner Parks auch. Moabit hat die Ringbahn, den Hauptbahnhof, die U-Bahn und mehrere Busse und daher lässt es sich eben nicht nur verkehrsgünstig, sondern durchaus ruhig leben. Moabit hat ein Kaufhaus, mehr als ein Dutzend Supermärkte, die Spree, Spätkaufs für alkoholbedürftige Nachtschwärmer, Bibliotheken - und wer davon immer noch nicht genug hat, hat es auch nicht weit in andere nette Bezirke. Und je schöner es sich leben lässt, umso eher mutiert man mit der Zeit zum Lokalpatriot. Oder um es wie die Berlin-Werbung zu sagen: Sei hipp, sei Wandel, sei Moabit.

Text: Natalie N.
Foto: A. Szagun

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