Was will die Bürgerplattform Wedding / Moabit?

Rudi Blais hat in einem Kommentar zum Artikel "Was ist und was wird" bereits seiner Enttäuschung Ausdruck verliehen, dass er auf der Gründungsveranstaltung der Bürgerplattform Wedding / Moabit daran gehindert wurde, zur Mietenstopp-Demonstration aufzurufen. Eigentlich wollte ich über diesen Abend in der Universal Hall gar nicht schreiben, habe mich aber wegen der vielen Anfragen doch umentschlossen.
Der Tagesspiegel berichtete enthusiastisch unter dem Titel "100 Nationen, 40 Vereine, eine Gemeinschaft". Die Berliner Morgenpost hat sich das Thema herausgegriffen, was ihr am besten passt: "Bürger kämpfen gegen Drogen". Auch Berliner Zeitung und taz schrieben über die Bürgerplattform. Denn es ist schon enorm. Die Liste der Kirchen- und Moschee-Gemeinden, die sich beteiligen ist lang. Auch viele Kiezinitiativen sind dabei. Als Sponsoren fungieren Banken, große Unternehmen (wie Bayer Schering Pharma), lokale Unternehmen (wie z.B. Laserline) und Wohnungsbaugesellschaften. Der katholische Priester Leo Penta, seit 1996 Professor an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen (KHSB), hat die Organisationsform des Community Organizing aus Brooklyn mitgebracht und im Dezember 2006 das Deutsche Institut für Community Organizing (DICO) gegründet. Einen kurzen Überblick über Community Organizing gibt Wolfgang Goede in seinen interessanten Hintergrundartikel im P.M. Blog, in dem er auch auf kritische Stimmen eingeht. Eine Rezension des neuesten Buches von Leo Penta findet sich hier.
Die Universal Hall am 25. November gestopft voll: 1.152 Menschen werden gezählt. Und viele von ihnen sind zufrieden mit der Veranstaltung. Sie klatschen, lachen über die Witze, freuen sich. Viele Gruppen aus Wedding und Moabit sind vertreten. Sie hatten die Aufgabe, so viele Mitglieder wie möglich für die Gründungsveranstaltung zu mobilisieren. Und das ist gut gelungen. Wohl noch nie haben so viele Menschen mit Migrationshintergrund eine Veranstaltung über Probleme in den Ortsteilen Moabit und Wedding besucht. Die extra eingeladenen und begrüßten prominenten Teilnehmer sind in einem weiteren enthusiastischen Bericht in Glocalist Daily News aufgelistet.
Selbstorganisation und Basisdemokratie hat sich das Community Organizing auf die Fahnen geschrieben, den Armen und Ausgegrenzten soll eine Stimme verliehen werden, sie sollen "auf Augenhöhe" mit Politik und Verwaltung verhandeln können. Dazu werden "local leaders" gesucht und ausgebildet. In Wedding und Moabit wurden einige "Führungs"-Persönlichkeiten gefunden. Monika Götz und Dr. Suat Özkan moderierten professionell. Azize Karagülle vom Kümmere Dich e.V. und Quartiersrätin im Soldiner Kiez, Mahmoud Bargouth vom Haus der Weisheit e.V. und ZID (Zentrum für interreligiösen Dialog e.V.) und Manfred Kunth von der Berliner Stadtmissionsgemeinde im Wedding erklärten, warum mit diesem breiten Zusammenschluss vieler Gruppen wirksame Veränderungen erreicht werden können. Sie sammelten Eigenschaftsworte für die Bürgerplattform: bunt, unparteiisch, gleichberechtigt, unabhängig, kraftvoll, engagiert, wissend, kreativ, strategisch, zielstrebig, selbstbewusst, respektvoll, langlebig.
Dann wurde auch der Name bekanntgegeben, der so knapp wie einfach lautet: "Wir sind da!". Unter dem Trommelwirbel der Band "drum attack" traten Vertreterinnen und Vertreter von 43 Gruppen ans Mikrofon, erklärten, warum sie dabei sind, und unterschrieben auf vorbereiteten Bögen. Nicht wenige erwähnten voll Stolz, wieviele aus ihrer Gruppe dabei sind. Die Gruppen verpflichten sich zusammen 20% der Kosten für die Organisation einzubringen (etwa 20.000 Euro jährlich).
Zum Schluss der Veranstaltung sollten einige Erlebnisberichte zeigen, "wo der Schuh drückt". Eine Themensammlung im Vorfeld hatte alle nur denkbaren Mißstände in Schulen und Bildung, für Familien, Kinder und Jugendliche, im Jobcenter, wie auch Verwahrlosung im Öffentlichen Raum, Drogen- und Alkoholprobleme umfasst. Eine Liste von 5 Seiten. Selcuk Seydam von der Haci Bayram Moschee berichtete, wie er in der 12. Klasse die Schule verlassen musste, um seinem Vater in der Bäckerei zu helfen. Jetzt musste er das Geschäft aufgeben und steht ohne Ausbildung da. Deshalb hält er gute Bildung für ebenso wichtig, wie Erna Wormsbecher, die früher lange Jahre Lehrerin in Rußland war und ehrenamtlich Aussiedlerkinder unterrichtet. Verständlichere Formulare im Jobcenter mahnte Haci Karaca von der Aksemseddin Moschee an. Sonja Zell berichtete, wie sie als Selbstständige, die zusätzlich Unterstützung beantragen muss, von Sachbearbeitern diskriminiert wird. Sunny Akpan von der Jesus Miracle Harvest Church erzählte von Gesprächen mit seiner kleinen Tochter über offenen Drogenhandel in der U-Bahn, denen er lieber aus dem Weg gegangen wäre. Er forderte eine drogenfreie Umgebung für die Kinder. Lee Schneider, die Pastorin der Pfingstgemeinde "Feste Burg" in der Neuen Nazarethkirche, lamentierte über alkoholtrinkende Menschen auf "ihrer" Kirchentreppe, achtlos hingeworfenen Müll, geplünderte Kleidercontainer und Spritzen in der Umgebung der Kirche.
Ein breiter Zusammenschluss vieler Menschen und Gruppen, die sich eigenverantwortlich und aktiv für ihren Stadtteil einsetzen, ist natürlich sehr zu begrüßen. Doch wo ist der gemeinsame Nenner? Wann und wo haben sich die Mitglieder der einzelnen Gruppen und Religionsgemeinschaften gegenseitig kennengelernt und Vertrauen zueinander aufgebaut, wie nach außen hin gesagt wird? Wieviel wissen sie überhaupt von einander? Vor der Gründungsveranstaltung hat es nur zum Zweck der Themensammlung die Gelegenheit gegeben, mit Mitgliedern aus anderen Gruppen zusammenzutreffen und in einer kurzen Runde die eigene persönliche Betroffenenheit zu erörtern. Wurden untereinander neue Beziehungen geknüpft oder haben die einzelnen Gruppen"führer" nicht fast ausschließlich Beziehungen zu der Organizerin, Susanne Sander, aufgebaut? Wer trifft in einer so zentralisierten Struktur die Entscheidungen? Wie kann sichergestellt werden, dass die Bürgerplattform vom DICO unabhängig ist? Wie wird sichergestellt, dass die Sponsoren keinen Einfluß nehmen? Das sind einige der Fragen, die sich mir aufdrängen. Die Versammlung selbst hat in mir durchaus unangenehme Gefühle hervorgerufen: eine perfekt inszenierte Show, irgendwie sektenähnlich. Die vielen Menschen waren nur für den Applaus an der jeweils richtigen Stelle nötig.
Nachtrag:
Die neue Webseite der Bürgerplattform