Was ist und was wird?
In mehreren Artikeln und Kommentaren der letzten Wochen wurde eine Entwicklung beklagt, die manchen Bewohnern Moabits nicht gefällt. Im Großen und Ganzen geht es darum, wie sich Moabit in den kommenden Jahren entwickeln wird. Stichworte sind z.B. Hauptbahnhof, Heide- und Lehrter Straße, Hotels, Hostels, stärkerer Verkehr.
Grob gesagt sehe ich zwei "Lager" (bitte nicht zu wörtlich nehmen!):
Zum einen sind da die Alteingesessenen, die teilweise schon zu Mauerzeiten hier gelebt haben. Gerade der Kiez Lehrter Straße war damals eine vergessene Ecke, in der sich sowas wie eine Dorfgemeinschaft entwickeln konnte, mit allen Vorteilen einer Gegend, die für Spekulanten uninteressant war. Diese Menschen

haben in den vergangenen 15 Jahren sehr krasse Einschnitte in ihrer Lebenswelt erlebt, der bisherige Höhepunkt war sicher die Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs, mit allen Konsequenzen. Sichtbar ist der stark gestiegene Verkehr, der sich auch durch die Lehrter Straße bewegt. Weitere Umbrüche sind gerade dabei, Realität zu werden: Ein großes Bürohaus und zwei Hotels sollen gebaut werden, dazu sogenannte Town Houses, also voraussichtlich Luxuswohnen im Kiez. Die Glitzerwelt Mittes scheint sich langsam hereinzuschieben und gewachsene Strukturen zu gefährden. Die Angst, eine liebgewonnene Situation zu verlieren, ist sicher berechtigt. Mietsteigerungen, Schicki-Micki-Läden und weiter zunehmender Autoverkehr drohen, das Idyll wird immer kleiner. Das alles ist im Lehrter-Kiez offensichtlich, aber nicht nur dort. Dabei werden Modernisierungen von Häusern und Wohnumfeld nicht grundsätzlich abgelehnt, aber sie sollen natürlich behutsam und an den Interessen der Bewohner orientiert erfolgen.
Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die ebenfalls hier leben, sich aber für ihren Stadtteil eine andere Entwicklung wünschen: Für sie ist Moabit eine Schmuddelecke, die einen Großputz durchaus vertragen kann. Sie sehen z.B. die Turmstraße mit ihren Billigläden als Schandfleck an und beklagen den Niedergang Moabits. Geplante Projekte wie die Kaufhäuser in der Schultheiß-Brauerei Stromstraße sind für sie wie Strohhalme, die den Kiez aufwerten könnten. Natürlich werden dann auch die Mieten steigen, aber sie sehen das als nicht so schlimm, weil es auch in Maßen geschehen wird, über einen längeren Zeitraum und sie selber das vielleicht auch gar nicht stört. Sie sehen in Moabit "Zilles Milljöh" und das ist für sie ein Ausdruck von Niedergang, keinesfalls von gewachsenem, liebenswertem Umfeld.
Ich selber stehe in Diskussionen immer wieder zwischen diesen beiden Positionen. Vor Jahren habe ich in Kreuzberg miterlebt, wie das gemütliche Leben verschwand: Die Wohnungen wurden saniert und verkauft oder an Mieter mit mehr Geld weitergegeben. Kiezkneipen wichen teuren Restaurants, statt Comic-Tausch gibt es in den Läden jetzt Edelmode. Die Alten sitzen nicht mehr draußen im Sommer, weil sie vertrieben wurden. Sicher - der Stadtteil ist jetzt optisch schöner, aber eben nicht mehr für diejenigen, deren Zuhause er mal war. Die gleiche Entwicklung gab es in den 90ern auch im Prenzlauer Berg.
Natürlich ist es schöner, wenn man in der Turmstraße interessantere Läden findet, nicht nur 1-Euro-Shops. Grünanlagen, auf denen auch tatsächlich Rasen liegt und nicht nur Sand und Hundescheiße sind selbstverständlich attraktiver. Und auch der eine oder andere moderne Neubau soll ruhig errichtet werden, meinetwegen auch mit Leuten, die dort ihr Auto mit auf die Etage nehmen können. Trotzdem bleibt bei jeder neuen Veränderung die diffuse Angst, dass sich Moabit nach und nach doch zu einem Stadtteil entwickelt, der zwar schön hell, sauber und glitzernd ist, aber keine Heimat mehr für diejenigen, die hier schon immer gelebt haben.
Deshalb stehe ich einer Aufwertung Moabits skeptisch gegenüber. Ich befürchte, dass es nur das Eine oder das Andere gibt und dass die einen die Bedürfnisse der anderen missachten oder nicht verstehen. Nicht, weil ich ein konservativer Hippie bin, der Angst um sein kleines Paradies hat, sondern weil ich in einem bezahlbaren Stadtteil wohnen möchte.